Walpurgisnacht - phantastischer Roman by dtv

Walpurgisnacht - phantastischer Roman by dtv

Autor:dtv
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
Tags: Belletristik/Hauptwerk vor 1945
Herausgeber: dtv
veröffentlicht: 2014-10-23T22:00:00+00:00


Sechstes Kapitel

Jan Zizka von Trocnov

Beim letzten Schlag zwölf Uhr hatte sich das Gesinde ehrerbietig erhoben: die Stunde der Gemeinschaft war vorüber.

Polyxena stand im Bilderzimmer, unschlüssig, ob sie sich von Bozena beim Entkleiden helfen lassen solle. – Dann schickte sie sie hinaus.

»Kiß die Haand, Euer Gnaden Komtesse« – das Mädchen haschte nach ihrem Ärmel und drückte einen Kuß darauf.

»Gute Nacht, Bozena; geh sie nur.«

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Polyxena setzte sich auf den Rand des Bettes und blickte in die Kerzenflamme.

»Jetzt schlafen gehen?« – Der Gedanke war ihr unerträglich.

Sie trat an das Bogenfenster, das hinaus auf den Garten ging, und zog die schweren Vorhänge auseinander.

Der Mond hing als schmale leuchtende Sichel über den Bäumen: ein vergeblicher Kampf gegen die Finsternis.

Der kiesbestreute Weg zum Gittertor war matt erhellt von dem Lichterschein, der aus dem Erdgeschoß fiel. –

Unförmige Schatten glitten darüber hinweg, sammelten sich, fuhren auseinander, dehnten sich, verschwanden, kehrten zurück, wurden lang und dünn, reckten die Hälse über die dunkeln Rasenflecke hin, um eine Weile wie schwarze Dunstschleier zwischen den Sträuchern aufrecht zu stehen, schrumpften wieder ein und steckten die Köpfe zusammen, als hätten sie irgendetwas Geheimnisvolles erkundet, das sie sich in lautloser Sprache ins Ohr raunen müßten; – – Das Silhouettenspiel der Gestalten unten in der Gesindestube.

Dicht hinter der dunkeln, massigen Parkmauer, als sei dort die Welt zu Ende, stieg der Himmel aus nebliger Tiefe, sternenlos, – ein nach oben gähnender, unermeßlicher Abgrund. – –

Polyxena suchte aus den Bewegungen der Schatten zu erraten, was die da unten hinter den Fensterscheiben wohl miteinander sprechen mochten.

Ein vergebliches Bemühen. – – –

»Ob Ottokar schon schlief?«

Ein weiches, sehnsüchtiges Empfinden kam über sie. Nur einen Augenblick, dann war es wieder vorbei. Ihr Träumen war anders als das seine. Wilder, heißer. Sie konnte nicht lange verweilen bei friedvollen Vorstellungen; sie war sich nicht einmal klar, ob sie ihn wirklich liebte. –

Was sein würde, wenn sie von ihm getrennt wäre? – Zuweilen hatte sie darüber nachgedacht, – aber nie eine Antwort bekommen. Es war so vergeblich gewesen wie vorhin das Erratenwollen, was die Schatten miteinander sprächen.

Ihr eigenes Innere war ihr eine unergründliche Leere, – undurchdringlich und verschlossen wie die Finsternis vor ihr. Nicht einmal Schmerz konnte sie empfinden, wenn sie sich auszudenken versuchte, Ottokar sei möglicherweise im selben Augenblick gestorben. – Sie wußte, daß er herzkrank war und daß sein Leben an einem dünnen Faden hing, – er hatte es ihr selbst gesagt, aber seine Worte waren an ihr vorbeigegangen, als hätte er sie an ein Bild hin – – – – – sie drehte sich um – – »ja an dieses Bild, an das Bild dort an der Wand, hin gesprochen.«

Sie wich den Augen des Bildes ihrer Ahne aus, nahm die Kerze, ging von einem Gemälde zum andern und leuchtete es an:

Eine tote Reihe starrer Gesichter.

Keines sprach zu ihr; –



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